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Interview mit der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy

de.qantara.de/ Explosiver Hass

 

Arundhati Roy, die bekannteste Schriftstellerin Indiens, äußert sich im Gespräch mit Dominik Müller über die ungebrochene Popularität des Hindu-Nationalismus in Indien, den Hass auf Muslime und den doppelbödigen Umgang des Westens mit Premierminister Narendra Modi.

 

In Ihrem letzten Roman “Das Ministerium des äußersten Glücks” aus dem Jahr 2017 machen Sie sich über die Premierminister Indiens lustig: Manmohan Singh ist ein Kaninchen mit Turban und bei seinem Nachfolger, Narendra Modi, bemerken Sie sein erstaunliches Brustvolumen von 1,42 Metern, das er im letzten Wahlkampf in fast jeder Rede als Ausdruck seiner Männlichkeit und Stärke hervorhob. Können Sie noch immer über die politischen Führer dieses Landes lachen?

Arundhati Roy: Charaktere in einem Roman sind zusammengesetzte Charaktere. Und das Lachen in der Literatur oder im Leben hat nichts mit Unbeschwertheit zu tun. Tatsächlich ist dieses Lachen eines der größten Dinge, die im Moment passieren: den Faschisten, Modi und all den schrecklichen Dingen, die geschehen, wird mit Humor begegnet. Das ist das erste Zeichen dafür, dass die Menschen sich weigern, diese Autoritäten oder Gegebenheiten zu akzeptieren. Es hat also nichts damit zu tun, etwas nicht ernst zu nehmen. Lachen ist eine sehr politische Sache.

 

“Den Hindutva-Faschismus zerschlagen”: Politische Wandmalerei an der Jawaharlal Nehru Universität in Neu Delhi. Die Angst in Indien vor Modis Hindunationalisten ist vor allem unter Muslimen groß. Ebenso die Empörung. Und das nicht ohne Grund, denn die BJP gilt als politischer Arm der Hindutva-Bewegung, deren Anhänger meinen, Indien gehöre den Hindus. In Modis Amtszeit ist es immer wieder zu Lynchmorden an Menschen gekommen, denen vorgeworfen wurde, Kühe zu einem Schlachthof gebracht, getötet oder gegessen zu haben – die Kuh gilt Hindus als heilig. Die Organisation Human Rights Watch zählte zwischen Mai 2015 und Dezember 2018 44 Todesopfer bei solchen Angriffen – darunter 36 Muslime.

Viele indische Schriftsteller ziehen es vor, in den USA oder in Großbritannien zu leben. Sie wohnen seit Jahrzehnten in Neu Delhi. Aber Ihren letzten Roman haben Sie in einer Art temporärem Exil in London beendet. Warum?

 

Roy: Es ist wahr, dass ich gegangen bin, weil ich Angst hatte. Aber ich kam nach zehn Tagen zurück, weil ich eigentlich nicht gehen wollte. Kurzum: Ich war vorübergehend in Panik. Zuvor gab es einen massiven Angriff auf Universitäten, auf Studenten, auf Lehrer, auf Professoren, auf den Lehrplan. Studentische Aktivisten wurden angegriffen, inhaftiert, vor Gericht zusammengeschlagen, kurz bevor die

 

Verhandlung begonnen hatte. Dann gab es noch diesen niveaulosen TV-Sender, der damals sehr populär war. Der Moderator sagte: “Ja, das sind diese Studenten, und sie tun all diese schrecklichen Dinge. Aber wer ist eigentlich der Kopf dahinter? Wer hat über die Staudämme geschrieben? Wer über den Angriff auf das Parlament? Über Kaschmir? Und wer hat den Atombombentest kritisiert? Es ist diese Frau, die noch immer nicht hinter Gittern ist.”

 

Es war, als würde man mich an den Mob verkaufen. Das ist mir schon mal passiert, aber diesmal war ich buchstäblich nur noch Wochen davon entfernt, meinen Roman fertigzustellen, an dem ich seit zehn Jahren gearbeitet hatte. Ich war sehr verletzlich, denn ich wollte auf keinen Fall in eine Situation kommen, in der ich ihn nicht beenden könnte. Also verlor ich einfach die Nerven und ging. Aber dann fühlte ich mich dermaßen verzweifelt, sodass ich wieder zurückkam.

 

 

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